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justanick
16.05.2013, 23:50
Es hat sich ein breites Bündnis gegen die Austeritätspolitik und für sein solidarisches Europa gebildet:



Aufruf: Europa geht anders!

Demokratie und Soziale Sicherheit in Europa statt weiterer Sozialabbau durch „Wettbewerbspakt“!

Europa kommt nicht aus der Krise. Die Menschen in Europa befinden sich in der Mitte eines verlorenen Jahrzehnts. Mit jedem Jahr seit Krisenbeginn verschlechtern sich die Nachrichten. Die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union erreicht Rekordniveaus: 26 Millionen Menschen haben keinen Arbeitsplatz, rund 10 Millionen mehr als vor der Finanzkrise. Monat für Monat steigt die Zahl der Erwerbslosen um fast 200.000. In Spanien und Griechenland beträgt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen bereits fast 60 Prozent. In den meisten Ländern sinken seit Jahren die Reallöhne. In Zahlen lässt sich das damit verbundene menschliche Elend nicht fassen: In Athen sind hunderttausende Menschen auf Suppenküchen angewiesen, in Spanien kommt es trotz leerstehender Wohnungen zu massenhaften Zwangsräumungen. Heizen können sich viele Menschen im Winter nicht mehr leisten. Das sind Verhältnisse, die in Europa als längst überwunden galten!

Die Krise, die Europa erfasst hat, kam nicht überraschend. Sie ist das Ergebnis einer neoliberalen Politik, die auf den Wettbewerb der Staaten, Marktgläubigkeit und eine weitgehend unregulierte Finanzindustrie setzte. Das Vertrauen auf die Überlegenheit der Märkte hat sich als kolossaler Irrtum erwiesen. Die kontinuierliche Umverteilung von unten nach oben hat in eine Sackgasse geführt. Angewachsen sind riesige Privatvermögen einerseits und (Einkommens-)Armut, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, Ausbeutung und wachsende Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite.

Die wachsende Ungleichheit und ruinöse Sparpolitik beeinflussen auch die Geschlechterverhältnisse. Kürzungen und Abbau bei öffentlichen Leistungen und Einrichtungen wie Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Pflege, öffentlicher Verkehr oder Unterstützungen für Menschen mit wenig Einkommen treffen Frauen härter, weil sie ohnehin schon wirtschaftlich schlechter gestellt sind als Männer. Wird der Wohlfahrtsstaat zurückgedrängt, ist auch die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen betroffen. Der Abbau des Sozialstaates ist ein Rückschritt für Geschlechtergerechtigkeit und ein Abbau von Frauenrechten.

Die Reaktion der Europäischen Union auf die Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine folgenschwere Kürzungspolitik. Ihre Inhalte lassen erkennen, wer sie formuliert: neoliberal orientierte Staats- und Regierungschefs, Think-Tanks, Medien, Unternehmerverbände, die Finanzindustrie, Teile der EZB und der EU-Kommission. Öffentliche Ausgaben werden eingeschränkt, Privatisierungen vorangetrieben, eine Politik der eingefrorenen Löhne und Lohnsenkungen forciert, ArbeitnehmerInnenschutz wird aufgeweicht, Entlassungen und Betriebsschließungen stehen auf dem Plan. Die Sozialleistungen werden in ganz Europa abgebaut und ausgehöhlt. In dem so entstandenen Klima der Angst um den Arbeitsplatz, um ein gesichertes Einkommen letztlich auch um die nackte Existenz, werden die Beschäftigten, PensionistenInnen und sozial Benachteiligten innerhalb eines Landes und zwischen unterschiedlichen Ländern gegeneinander ausgespielt.

Nicht Teil dieser ‚Reformen’ sind allerdings die Besteuerung von Vermögen, von hohen Einkommen und Unternehmensgewinnen. So steigt die Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung und eine der zentralen Krisenursachen nimmt damit weiter zu.

Trotzdem wird diese ungerechte und schädliche Kürzungspolitik noch weiter verschärft und soll weiter verschärft werden und verpflichtend auf alle Mitgliedsstaaten ausgeweitet werden. Teilweise ist dies schon gelungen: Mit einem Paket aus mehreren EU-Rechtsakten und Verträgen wurden die Mitgliedsländer zu drastischen Einschnitten verpflichtet. Die EU-Kommission kann Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten erlassen, wenn die von nationalen Parlamenten beschlossene Wirtschaftspolitik nicht den Vorgaben der Kommission entspricht und „strukturelle Budgetdefizite“ nach Kommissionsauffassung auftreten. Weil das demokratisch kaum durchzusetzen wäre, sind die dafür ordnungsgemäß vorgesehenen Verfahren umgangen worden und das Europäische Parlament hat in diesen neuen Verfahren nur Anhörungs- aber keine Mitentscheidungsrechte.

Obwohl diese ‚Krisenpolitik’ die Krise in Europa verschärft und Europa in eine Rezession geführt hat, sollen diese Maßnahmen und Instrumente noch vertieft werden. Geht es nach Angela Merkel mitsamt den neoliberalen Entscheidungsträgern und der EU-Kommission, sollen beim Gipfel des Europäischen Rates im Juni 2013 Beschlüsse gefasst werden, nach denen sich alle Mitgliedsstaaten in bindenden „Verträgen für Wettbewerbsfähigkeit“ zu “Strukturreformen“ verpflichten. Damit sind beispielsweise Lohn- und Renten bzw. Pensionskürzungen, längere Arbeitszeiten, Privatisierungen, Kürzungen im Bildungswesen und Gesundheitssystem gemeint. Diesmal soll es sogar egal sein, ob Budgetdefizite bestehen oder nicht – wer mitmacht, muss die „Strukturreformen“ auch dann umsetzen, wenn das nationale Budget ausgeglichen ist.

Mit Zuckerbrot und Peitsche soll der Widerstand der Menschen überwunden werden:


für eine zeitgerechte Umsetzung der „Strukturreformen“ soll den Mitgliedsländern nach derzeitigen Plänen finanzielle Förderungen gewährt werden,
wenn die Parlamente die Anordnungen des „Reformbündnisses“ jedoch nicht umsetzen, drohen Verwarnungen und letztlich Sanktionen in Form von Geldbußen.

Wir sprechen uns gegen die Pläne für dieses, sogenannte EU-„Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“ aus. Die bisherige Austeritätspolitik muss endlich beendet werden. Es braucht eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen! Und das heißt:


eine europäische Umverteilung des Reichtums durch faire Einkommen und höhere Gewinn- und Vermögensbesteuerung
Beendigung der Lohnsenkungspirale
und damit Abbau der riesigen Ungleichgewichte (enorme Leistungsbilanzüberschüsse bzw. weniger Länder auf Kosten von -defiziten anderer Landes) zwischen den Ländern innerhalb der Währungsunion
Stärkung der ArbeitnehmerInnenrechte, ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte
Wiederregulierung und Schrumpfung der Finanzmärkte,
Umfassende Demokratisierung der europäischen (Wirtschafts-)Politik
Vereinbarungen zur Verringerung der Erwerbsarbeitslosigkeit in allen EU-Staaten
ein europäisches Investitionsprogramm zum Ausbau der Infrastruktur und zum ökologischen Umbau sowie
eine – schrittweise zu entwickelnde – europäische Sozialunion

Eine Vertiefung der Europäischen Union muss eine Stärkung der Demokratie und das Wohlergehen aller Menschen in Europa zur Voraussetzung haben.


http://www.europa-geht-anders.eu/aufruf

Ich habe die Petition unterschrieben. Vielleicht hilft es die zunehmende Spaltung Europas zu stoppen.

Ford
17.05.2013, 10:56
Dir ist hoffentlich klar, dass wir die großen Verlierer dessen sein würden. Ich unterschreibe das ganz sicher nicht.

justanick
17.05.2013, 13:02
Wer ist wir? Bisher hat Deutschland sich durch Lohndumping erheblichen Schaden zugefügt. Durch ein Leistungsbilanzplus von fast 170 Mrd € wurde die schwache Binnennachfrage zwar teilweise kompensiert, aber wo kommt das bei "uns" an? Die niedrigen deutschen Lohnstückkosten zwingen den Rest der europäischen Währungsunion ebenfalls in den Lohndumpingwettbewerb einzusteigen, ohne dass es eine Perspektive gibt, dass sich dies irgendwie mal auszahlt.

MΞSSIΛS
17.05.2013, 13:45
Ich sehe da auch keinen einzigen Loesungsansatz, insofern kann ich das nicht unterschreiben, so nobel die Absichten auch sein moegen.

slowcar
17.05.2013, 13:48
Ich würde mich auch eher bei den Lohnempfängern einordnen beim "uns", und da ist die Deutsche Niedriglohnpolitik schon scheisse. Der riesige Aussenhandelsüberschuss bringt uns doch nichts, auch wenn manche Nationalen das halt irgendwie toll finden weil wir die tollsten sind bei irgendwas.

juelZ
17.05.2013, 13:56
Warum sollte Deutschland eine "Sozialunion" wollen? Warum sollte es sich für Weltmarkt schwächen (nicht im Sinne einer Anhebung der LSK), nur weil die PIGS ihre Hausaufgaben nicht annähernd gemacht haben? Warum sollten wir unsere Wirtschaftspolitik überhaupt an diesen Ländern ausrichten, das ist weder unser Maßstab noch sind es unsere Konkurrenten oder ihr Anteil unseres Exports ist allzu bedeutend bzw. überhaupt voll gedeckt. Welche Investitions- und Infrastrukturprojekte sollen bitte noch sinnvoll durchgeführt werden und was ändern sie daran, dass diese Staaten Strukturreformen benötigen? Das Binnen-I setzt dem Ganzen die Krone auf.
Dann lieber einer Verkleinerung des Euroraumes.

wisthler
17.05.2013, 14:18
:top

justanick
17.05.2013, 14:23
Auf kurze Sicht sind eh nur Anpassung der LSK, Mindeststandards bei Steuern und eine Überwindung der Nachfrageschwäche realistisch. Das ist mMn auch überwiegend bedingungslos wünschenswert.
Irgendwelche Sozialunionen sind utopisch und können nur dadurch erreicht werden, dass die nationalen Systeme in einem Zeitraum von Jahrzehnten schrittweise aneinander angepasst werden. Die Details hängen davon ab, wie gut es den anderen Länern gelingt die Pro-Kopf-Wirtschaftleistung der Führenden wie Deutschland zu erreichen.

Ford
17.05.2013, 14:24
@justanick, slow

Die Story stimmt so eben nicht. Schaut Euch doch mal die Handels- und Leistungsbilanz im Detail an. Deutschland erwirtschaftet keine nennenswerten Überschüsse mit der Eurozone. Diese Zeiten sind schon längst vorbei. Hier ein paar Zahlen vom Statistischen Bundesamt:

Ausfuhren in Eurozone 2012: 411,9 Mrd. € - Einfuhren: 404,2 Mrd. € --> Überschuss: 7,7 Mrd. € - Das sind 0,3 % des deutschen BIP!
Ausfuhren in Eurozone Januar-März 2013: 103,3 Mrd. € - Einfuhren: 99,9 Mrd. --> Überschuss: 3,4 Mrd. €

Quellen:
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/02/PD13_050_51.html
(https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/02/PD13_050_51.html)https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/05/PD13_159_51.html

Es gibt im Handel mit der Eurozone schlicht kein Ungleichgewicht, das von Deutschland ausgeht. Die großen Überschüsse in der deutschen Handels- und Leistungsbilanz entstehen anderswo, nämlich in erster Linie mit Ländern außerhalb der EU und dann mit den Nicht-Euro-Ländern in der EU. Genau das verweist ja auf das große systemische Problem, das sich Europa mit der Eurozone eingebrockt hat.

Die hohen deutschen Überschüsse sind die Ergebnisse des geringen Außenwerts des Euro. Freilich könnte man die Überschüsse durch Lohnerhöhungen auf breiter Front drücken. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass davon aber nicht die Euro-Krisenländer profitieren würden. Das hängt mit der Wirtschaftsstruktur der Euroländer zusammen. Deutschland ist ein Land, dessen komparativer Vorteil bei der Herstellung von Gütern entsteht, die die OECD als "medium to high tech" klassifiziert, also die Produktegruppe unterhalb der Spitzentechnologie. In der Spitzentechnologie sind wir leider nicht so gut aufgestellt. Mit Ausnahme Norditaliens haben alle Krisenländer ihren Schwerpunkt aber bei den "low tech"- und "medium tech"- Gütern. Deren Weltmarktkonkurrenten sind gar nicht wir Deutschen, sondern in erster Linie die Schwellenländer. Für diese Südländer ist aber der Wechselkurs viel zu hoch, sodass sie im preislichen Wettbewerb mit den Schwellenländern nicht bestehen können. Die deutschen Konkurrenten sind Länder wie Japan, Korea, Schweden, auch die USA. Lohnerhöhungen auf breiter Front in Deutschland würden die Volkswirtschaften dieser Länder beflügeln, weniger diejenigen Südeuropas. Ich wage folgende Prognose: Die neue japanische Politik der massiven Abwertung des Yen wird sich in ein bis zwei Jahren auch in der deutschen Handelsbilanz zeigen. Der Euro ist gegen den Yen in ein paar Monaten um 30 % gestiegen. Es ist m.E. absehbar, dass die japanische Industrie ggü. der deutschen deutliche Kostenvorteile erzielen kann und das wird sich in der relativen Entwicklung der deutschen und japanischen Exporte auch zeigen.

Ich bestreite nicht, dass die Lohnpolitik in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten schlimm war. Das habe ich ja selbst schon zig mal kritisiert, u.a. auch in vielen Beiträgen im Euro-Thread. Eine faire Lohnpolitik sieht für mich, vereinfacht gesagt, so aus, dass Lohnerhöhungen ungefähr Inflation und Produktivitiätszuwachs widerspiegeln sollten. Ich hoffe, dass wir auch endlich wieder dahin kommen. Falsch ist nur die Annahme, dass Lohnerhöhungen in Deutschland automatisch zugunsten der Volkswirtschaften in Südeuropa gehen. Zu erwarten ist bei Lohnsteigerungen, die deutlich über das hinausgehen, was ich als faire Lohnentwicklung beschrieben habe, dass unsere eigentlichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt profitieren und deswegen bei uns auch die Arbeitslosigkeit steigt. Das macht uns zu Verlierern. Europa ist nicht der Nabel der Welt, mittlerweile schon lange nicht mehr. Und wir sind auch nicht mehr im Jahr 2007.

Auch die immer wieder aufkommende Diskussion um ein deutsches Konjunkturprogramm zugunsten anderer Länder ist schwierig. Wie soll denn ein Konjunkturprogramm aussehen, das besonders dem Süden zugute kommt? Abgesehen von Reisegutscheinen in Sonnenländer fällt mir da wenig ein. Die Olivenimporte werden nicht wesentlich zu steigern sein. Dabei brauchen wir doch viel eher Investitionen in ganz andere Bereiche. Wenn ich an den Zustand unserer Infrastruktur oder der Bildungseinrichtungen denke...

Das Grundproblem der Eurozone ist, dass die Annahme "one size fits all" schlicht und ergreifend nicht stimmt. Der Wegfall des Wechselkursmechanismus zerstört die europäischen Volkswirtschaften, weil der gemittelte Euro-Wechselkurs, den wir nun haben, für niemanden passt. Für manche Länder ist er zu niedrig, für die anderen zu hoch. Ähnlich verhält es sich mit den Zinsen für Unternehmen und Staaten. Für Südeuropa waren sie lange zu niedrig, jetzt sind sie zu hoch. Für Deutschland waren sie erst zu hoch, jetzt sind sie tendenziell zu niedrig.

Südeuropa, mit Ausnahme Italiens, ist insolvent. Diese Länder haben Nettoauslandsverschuldungen von um die 100 % des BIP. Damit sind sie die Spitzenreiter in der Welt. Keine deutsche Lohnerhöhung, kein deutsches Konjunkturprogramm wird daran jemals etwas ändern. Wer also über den Erhalt der Eurozone diskutiert, der muss echte und großzügige Schuldenschnitte und zusätzlich massive jährliche Transfers von den Nord- in die Südländer befürworten. Die Größenordnung würde dabei weit über die EU-Nettozahlungen hinausgehen. Nur dann lässt sich das beklagte Sozialdumping und Wohlstandsverluste in den Krisenländern stoppen. Die Lage ist gut zu vergleichen mit West- und Ostdeutschland. Was meint ihr, wie hoch der Lebensstandard in Ostdeutschland wäre, wenn ab morgen alle Transfers von West nach Ost, größtenteils über die Sozialsysteme, stoppen würden? (Auf niedrigerem Niveau gilt das übrigens auch für Süd- vs. Norddeutschland) In der Eurozone ist es genauso. Der Lebensstandard in den Krisenländern kann nur gehalten werden, wenn es zu entsprechend massiven Transfers kommt. Glaubt hier allen Ernstes jemand, Deutschland könne das leisten, ohne selbst massiv Schaden zu erleiden?

BrainDamage
17.05.2013, 14:35
:applaus

juelZ
17.05.2013, 14:38
Jap, kronic wie immer. :top

MΞSSIΛS
17.05.2013, 14:59
:japan

justanick
17.05.2013, 15:33
Es gibt im Handel mit der Eurozone schlicht kein Ungleichgewicht, das von Deutschland ausgeht. Die großen Überschüsse in der deutschen Handels- und Leistungsbilanz entstehen anderswo, nämlich in erster Linie mit Ländern außerhalb der EU und dann mit den Nicht-Euro-Ländern in der EU. Genau das verweist ja auf das große systemische Problem, das sich Europa mit der Eurozone eingebrockt hat.

Die Exporte nach Europa sind krisenbedingt eingebrochen. Wo genau unsere Leistungbilanz hinfließt ist letztlich aber gar nicht relevant, denn sie hängt vom Außenwert des Euros ab und der Außenwert des Euros hängt der Leistungsbilanz des Euros ab. Wenn wir unsere Leistungsbilanz durch höhere Löhne auf 0 senken ist Südeuropa viel geholfen. Der Euro wird dann tendenziell abwerten und Deutschland wird als Absatzmarkt für Südeuropa attraktiver.


Falsch ist nur die Annahme, dass Lohnerhöhungen in Deutschland automatisch zugunsten der Volkswirtschaften in Südeuropa gehen. Zu erwarten ist bei Lohnsteigerungen, die deutlich über das hinausgehen, was ich als faire Lohnentwicklung beschrieben habe, dass unsere eigentlichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt profitieren und deswegen bei uns auch die Arbeitslosigkeit steigt. Das macht uns zu Verlierern. Europa ist nicht der Nabel der Welt, mittlerweile schon lange nicht mehr. Und wir sind auch nicht mehr im Jahr 2007.

Wenn die Stundenlöhne in Deutschland in D für etwa 10 Jahre um 5 % p.a. und in Südeuropa um 2,5% p.a. steigen, dann verbesserte sich die Wettbewerbsfähigkeit Südeuropas. Richtig ist, dass dies nicht sofort wirksam ist. Bis relative Kostenvorteile genutzt werden können vergeht Zeit. Dass bei uns die Arbeitslosigkeit steigt möcht ich jedoch bestreiten. Richtig ist, dass die Exportindustrie unter Druck kommt und die macht inzwischen über 50% vom BIP aus. Aber neue Arbeitsplätze entstehen im Binnenmarkt. Arbeitsplatztechnisch wäre das ein Gewinn. Und die logische Alternative wäre ein Ende des Euros. Das schadet der Exportindustrie, löst aber nicht automatisch das Problem der schwachen Binnnwirtschaft. So gesehen sind hohe Lohnerhöhungen in der Überschussländern, niedrige Lohnerhöhungen in Defizitländern und normale Lohnerhöhungen nach Produktivitätsteigerung + Zielinflation in Ländern mit ausgeglichener Leistungsbilanz das kleinstmögliche Übel.


Auch die immer wieder aufkommende Diskussion um ein deutsches Konjunkturprogramm zugunsten anderer Länder ist schwierig. Wie soll denn ein Konjunkturprogramm aussehen, das besonders dem Süden zugute kommt? Abgesehen von Reisegutscheinen in Sonnenländer fällt mir da wenig ein. Die Olivenimporte werden nicht wesentlich zu steigern sein. Dabei brauchen wir doch viel eher Investitionen in ganz andere Bereiche. Wenn ich an den Zustand unserer Infrastruktur oder der Bildungseinrichtungen denke...

Genau dort sollte das Geld hinfließen. Staatsausgaben sollten schließlich nicht zweckentfremdet werden. Die wichtigste Komponent wäre die Anpassung der Lohnstückkosten. Das erhöht die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Südens.


Das Grundproblem der Eurozone ist, dass die Annahme "one size fits all" schlicht und ergreifend nicht stimmt. Der Wegfall des Wechselkursmechanismus zerstört die europäischen Volkswirtschaften, weil der gemittelte Euro-Wechselkurs, den wir nun haben, für niemanden passt. Für manche Länder ist er zu niedrig, für die anderen zu hoch. Ähnlich verhält es sich mit den Zinsen für Unternehmen und Staaten. Für Südeuropa waren sie lange zu niedrig, jetzt sind sie zu hoch. Für Deutschland waren sie erst zu hoch, jetzt sind sie tendenziell zu niedrig.

Die Realzinsen hängen von der Inflation ab. Deutschland hat dieses Ziel stark nach unten verfehlt, Südeuropa hat es nach oben verfehlt. Nur Frankreich hat ungefähr 2% p.a. erreicht. Wenn das Inflationsziel in jedem Land eingehalten passt der Wechselkurs letztlich auch wieder. Die Annahme "one size fits all" wäre bei sychronisierter Inflation, bei einem synchronisiertem Anstieg der LSK kein Problem. Zumindest wäre es kein Problem, das die Vorteile einer Währungsunion überkompensiert.


Südeuropa, mit Ausnahme Italiens, ist insolvent. Diese Länder haben Nettoauslandsverschuldungen von um die 100 % des BIP. Damit sind sie die Spitzenreiter in der Welt. Keine deutsche Lohnerhöhung, kein deutsches Konjunkturprogramm wird daran jemals etwas ändern. Wer also über den Erhalt der Eurozone diskutiert, der muss echte und großzügige Schuldenschnitte und zusätzlich massive jährliche Transfers von den Nord- in die Südländer befürworten. Die Größenordnung würde dabei weit über die EU-Nettozahlungen hinausgehen. Nur dann lässt sich das beklagte Sozialdumping und Wohlstandsverluste in den Krisenländern stoppen. Die Lage ist gut zu vergleichen mit West- und Ostdeutschland. Was meint ihr, wie hoch der Lebensstandard in Ostdeutschland wäre, wenn ab morgen alle Transfers von West nach Ost, größtenteils über die Sozialsysteme, stoppen würden? (Auf niedrigerem Niveau gilt das übrigens auch für Süd- vs. Norddeutschland) In der Eurozone ist es genauso. Der Lebensstandard in den Krisenländern kann nur gehalten werden, wenn es zu entsprechend massiven Transfers kommt. Glaubt hier allen Ernstes jemand, Deutschland könne das leisten, ohne selbst massiv Schaden zu erleiden?

Der Vergleich mit Ostdeutschland passt relativ gut. Damals hat man die Chance verpasst durch entsprechend hohes nominales Wachstum die Arbeitslosigkeit so stark zu senken, dass der Aufbau wirtschaftlicher Strukturen in Ostdeutschland lohnt. Was die EWU braucht ist hohes nominales Wirtschaftswachstum. In Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit lässt sich das recht gut in reales Wachstum umsetzen.

Sare
17.05.2013, 15:35
Kronic :top

Erstaunlich, wie viele Wissenschaftler sich an der Petition beteiligen. Da werden so viele Dinge vermischt. :hahm

Ein Highlight:

Andrea Ypsilanti
Mitglied des Hessischen Landtags, Sprecherin des Instituts Solidarische Moderne, Deutschland
"Endlich ein Aufruf, der thematisiert, wie sehr Frauen von dieser Austeritätspolitik betroffen sind."

:lach