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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was gesagt werden muss



Ford
04.04.2012, 19:24
So lautet ein jüngst veröffentlichtes Gedicht von Günter Grass. In den Medien wird er gerade ziemlich vernichtet. Insbesondere Die Welt arbeitet sich geradezu daran ab. Einige Kommentare:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/eine-erlaeuterung-was-grass-uns-sagen-will-11708120.html
http://www.sueddeutsche.de/kultur/anmerkungen-zu-guenter-grass-dichten-und-meinen-1.1326553
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article106156211/Guenter-Grass-seltsames-Verhaeltnis-zu-den-Fakten.html
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article106155994/Grass-letzte-Tinte-transportiert-NS-Stereotypen.html
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106155408/Grass-erntet-Entruestung-fuer-anti-israelisches-Gedicht.html
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,825732,00.html
http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-04/grass-iran-krieg
http://www.taz.de/Guenter-Grass-ueber-Israel/!90951/
http://www.fr-online.de/israel-iran-konflikt/leitartikel-guenter-grass---dichter-und-maulheld,11950234,14679508.html

Unsere Politiker schließen sich dem weitgehend an. Der Zentralrat der Juden spricht von einem "aggressiven Pamphlet der Agitation". Auch der israelische Botschafter keult kräftig.
http://www.faz.net/aktuell/politik/kritik-an-grass-israel-kritik-aggressives-pamphlet-der-agitation-11708212.html
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-04/grass-gedicht-reaktionen


Was hat er nun geschrieben?


Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

Wer hat Recht? Grass oder die Journaille?

DerGerhard
04.04.2012, 21:04
Grass und Broder sind beides Honks :sz

JIG
04.04.2012, 21:31
Ein politisches Gedicht? Wir leben noch im 19. Jh.?

Jim
04.04.2012, 21:35
Das reimt sich ja gar nicht :niemals

Spaceman
04.04.2012, 21:44
Ein politisches Gedicht? Wir leben noch im 19. Jh.?

Grass' Muse heißt Feigheit - sonst hätte er Prosa abgeliefert.

Lyrik hat zwei Vorteile: Man kann sich vage ausdrücken und nutzt gleichzeitig die "Kunst" als Schutzschild.

gubbel
04.04.2012, 22:56
Mal offtopic :fft

In einem der Welt Artikel wird diese (http://www.welt.de/wams_print/article3624572/Duesseldorfer-Forscher-NS-Sprache-wurde-Deutschen-nicht-uebergestuelpt.html) herrliche Studie verlinkt


Bereits nach wenigen Wochen[...]"können wir erste überraschende Ergebnisse vorweisen"


Berüchtigte Kampf-Vokabeln wie das böse "Stigma-Wort" vom "Schanddiktat" für den Versailler Frieden seien schon längst vor 1933 im Umlauf gewesen - und das quer durch das Weimarer Parteienspektrum. Dies gelte auch für das Wort "System", mit dem die Linke häufig den Kapitalismus, Rechte wie Linke, aber auch die Republik attackiert hat.

shocking revelations! :eek

Irgendwie hätte ich denen das auch sagen können. I can has research moniez too? :look

Garfield
04.04.2012, 23:08
Braucht Grass ein bisschen Publicity für ein bald erscheinendes Buch?

Louis
05.04.2012, 03:05
Das reimt sich ja gar nicht :niemals

:lach :D

weasel
05.04.2012, 12:01
Lyrik hat zwei Vorteile: Man kann sich vage ausdrücken und nutzt gleichzeitig die "Kunst" als Schutzschild.
:top

aus literarischer sicht ist das jedenfalls ein gedicht wie ein schlimmer autounfall.

ehrenvoller, den füller niederzulegen,
den greisen geist zu ruhen
und ehrhaben sterben zu gehen.

sag uns deutlich was du zu sagen hast günter, oder besser noch halts maul :sz

wisthler
05.04.2012, 12:02
:top

Louis
05.04.2012, 14:03
Grass' Muse heißt Feigheit - sonst hätte er Prosa abgeliefert.

Lyrik hat zwei Vorteile: Man kann sich vage ausdrücken und nutzt gleichzeitig die "Kunst" als Schutzschild.

Nachdem ich es mir jetzt durchgelesen habe wirkt es in der Tat eher wie ein Leserbrief mit ein paar wahllos verteilten Zeilenumbrüchen, als wie ein Gedicht. :hmpf

MΞSSIΛS
06.10.2012, 05:09
Den Autounfall aus literarischer Sicht sehe ich ein, dennoch bin ich bei dem Inhalt bei ihm.
Diese Meinungsgleichschaltung ist einfach zum Kotzen. Hut ab, weil er sich als Deutscher dem aussetzt. :top

Louis
06.10.2012, 11:17
Den Autounfall aus literarischer Sicht sehe ich ein, dennoch bin ich bei dem Inhalt bei ihm.
Diese Meinungsgleichschaltung ist einfach zum Kotzen. Hut ab, weil er sich als Deutscher dem aussetzt. :top

Also... aus meiner Sicht hat Grass ein angebliches Tabu künstlich aufgebaut, um sich dann heldenmutig als Tabubrecher hinstellen zu können.

Ist es tatsächlich in Deutschland tabu, Israel für seine eventuell aggressive Außenpolitik oder seinen Umgang mit der arabischen Welt zu kritisieren? Wäre mir neu.

MΞSSIΛS
06.10.2012, 18:20
Mir nicht. Deutschland ist mir da noch viel zu leise.
Ich glaube nicht, dass ein G.Grass, Gewinner des lit. Nobelpreises, es noetig hat, sich als Tabubrecher profilieren zu muessen.

Louis
06.10.2012, 18:57
Mir nicht. Deutschland ist mir da noch viel zu leise.

Ich bitte dich. Kritik an israelischen Raketenangriffen, Umgang mit der Palästinafrage etc. ist doch fast gesellschaftlicher Konsens in Deutschland.


Ich glaube nicht, dass ein G.Grass, Gewinner des lit. Nobelpreises, es noetig hat, sich als Tabubrecher profilieren zu muessen.

Ein Nobelpreis (mal abgesehen davon, dass er wie jeder andere Preis letztlich eine subjektive und umstrittene Sache ist) ist eine Aussage über die fachliche Qualität eines Autors, und nicht über seinen Charakter. Das ist auch gut so, denn bei Goethe und Eichendorff interessiert mich auch nicht, ob sie im Alltag unangenehme Gestalten waren, solange ich mich an ihrer Sprache erfreuen kann. Grass ist und war schon immer ein Selbstdarsteller vor dem Herrn, und hat seit Jahrzehnten den gewissen Gestus, sich ganz besonders wichtig zu machen. Das hat der Nobelpreis nicht geschmälert, sondern im Gegenteil eher noch verstärkt. Letztlich ist das auch keine Überraschung, weil eine gewisse Eitelkeit wohl auch eine Grundvoraussetzung dafür ist, Autor werden zu wollen.

Insofern: Selbstverständlich gibt es hunderte Gründe, warum ein Nobelpreisträger sich trotzdem mehr als zehn Jahre nach seinem Preis noch glaubt, profilieren zu müssen.

Gerade ein Schriftsteller wie Grass, der sich als politischer Autor mit Hang zum anarchischen Querdenkertum definiert, lebt letztlich von solchen Aktionen. Prinzipiell finde ich das ja auch gut. Die Gesellschaft braucht Künstler, die sich einmischen und den Mund aufmachen.

Heißt aber halt nicht, dass alles was diese Künstler sagen, deswegen auch zu hundert Prozent stimmt oder zu hundert Prozent aus altruistischen Motiven gespeist wurde.

MΞSSIΛS
06.10.2012, 19:37
Das ist schon richtig, was Du sagst. Mag sein, dass ich das evtl. etwas blauaeugig betrachtet habe. Aber letztlich sind mir die Intentionen auch egal. Wichtig ist, dass es gesagt wurde, da ich eben diesen geschlossenen Konsens, vor allem auf der fuehrenden polit. Ebene, eben nicht sehe.

slowcar
06.10.2012, 22:01
Die Deutsche Politik ist fast reflexartig pro-Israel, da ist von einem kritischen Konsens nichts zu sehen.
Und es ist auch ziemlich schwierig Israel zu kritisieren ohne mit dem Anti-Semitismushammer erwischt zu werden.
Israel ist offiziell eben ein jüdischer Staat, und auch wenn eine große Mehrheit den als Säkular definiert scheinen die (rechten bzw religiösen) Extrimisten doch irgendwie stets wahlentscheidend zu sein.

Dellaway
06.10.2012, 22:42
Kann dir da nur zustimmen Slow. Bis auf kleinere Internet Medien,Blog u.ä., sind eigentlich alle etablierten Print und andere Medien pro-Israel in ihren Nachrichten eingefahren.

Das einzelne Gedicht von Grass vor ein paar Monaten fand ich gut, er hatte Recht damit es kritisieren und ansprechen zu dürfen und die Reaktion von den Medien+Politik war wie erwartet überwiegend negativ.
Das Buch bzw. dieses Gedichtband was er nu rausgehauen hat, war rein wegen der Publicity, hat er wahrscheinlich auch nur gemacht, weils halt Aufmerksamkeit erregt.
Aber wenn ers nötig hat. :sz

MΞSSIΛS
07.10.2012, 00:29
Die Deutsche Politik ist fast reflexartig pro-Israel, da ist von einem kritischen Konsens nichts zu sehen.
Und es ist auch ziemlich schwierig Israel zu kritisieren ohne mit dem Anti-Semitismushammer erwischt zu werden.
Israel ist offiziell eben ein jüdischer Staat, und auch wenn eine große Mehrheit den als Säkular definiert scheinen die (rechten bzw religiösen) Extrimisten doch irgendwie stets wahlentscheidend zu sein.

:top
Genauso stellt sich das fuer mich auch dar. Wie schon gesagt, Meinungsgleichschaltung.