Disclaimer: Sämtliche Personen und Organisationen sind vom Autor als fiktiv intendiert, Ähnlichkeiten zu real existierenden rein zufälliger Natur.
Trigger Warnung: Teilweise ziemlich hässlicher Stoff
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2056-2061: Teil der Recc-Gruppe
Ardus offenbarte ihr, dass der Anführer einer Sondereinsatzgruppe Interesse daran gezeigt habe, in zu rekrutieren und dass er – zumal unter dem Druck seines Chefs und seines Totems – dieses Angebot gerne annehmen würde. Da ihre Genesung und Resozialisierung im Sinne des Projekts so gut wie abgeschlossen seien, wäre es nun an der Zeit, dass sie ihr eigenes Leben zurückbekomme. Caitlin erwiderte, dass sie ja nichts habe, wohin sie gehen könne. Ardus versprach, auszuloten, ob er sie nicht mitnehmen könne, und konnte ihr später mitteilen, dass sich der Verantwortliche dafür offen gezeigt habe, solange sie die Bereitschaft mitbrächte, einen Wert für das Team zu entwickeln. Im Verlauf der folgenden Wochen und in weiteren Gesprächen nahm dieser Pfad immer deutlichere Formen an.
Jener Anführer des Teams, Charlie Recc, erwies sich als Mensch in den Vierzigern mit dem Verhalten eines Offiziers und dem Körper eines Elitesoldaten. Caitlin lernte ihn als einen stillen Grübler kennen, der die Nähe der meisten Angehörigen seiner Gruppe mied, sich weder beruflich noch privat in die Karten blicken ließ und keine Sachlagen diskutierte, sondern nur Entscheidungen und Befehle verkündete. In diesen Eingangsgesprächen ließ er Caitlin gegenüber die Bemerkung fallen, selbst eine Tochter in ihrem Alter zu haben. Sie lernte sie jedoch nie kennen und erfuhr nicht einmal ihren Namen.
In einem dieser Gespräche brachte er auch die Idee auf, Caitlins Wert mittels Implantaten zu steigern. Zwar halte er Cyberware bei einer Heranwachsenden für eine schlechte Idee, doch er könne sie in einem Bioware-Testprogramm einschreiben, das es ihnen erlaube, hochwertige Objekte für einen Bruchteils des Marktpreises zu erhalten, wenn sie nur bereit wäre, sich gelegentlichen Untersuchungen zu unterziehen sowie Messdaten und Erfahrungen weiterzuleiten. Caitlin nickte; sie entschieden sich gemeinsam für eine Auswahl und Charlie unternahm die weiteren Schritte.
Charlies Gruppe operierte hinter der Fassade der Unternehmensberatung „Argo Solutions“ (das Logo zeigte eine stilisierte griechische Trireme mit einer Stange voller einzelner, im Wind flatternder Fäden statt eines Segels), die aus einem Büro und einem dahinterliegenden Mitarbeiter-Wohnheim bestand. Ihre zwei bis drei Dutzend angestellte Spezialkräfte, die nur teilweise im Wohnheim lebten und unter denen (auch, aber nicht nur aufgrund von Todesfällen) eine gewisse Fluktuation herrschte, gaben sich nicht einmal die Mühe, wie Unternehmensberater zu erscheinen. Stattdessen führten sie die Missionen aus, die Charlie ihnen übermittelte und bei denen sie selbst nur spekulieren konnten, ob sie die Geheimmissionen der vermuteten Teilhaber erfüllten oder Charlie sie wie normale Schattenkräfte vermakelte.
Caitlin zog in das Mitarbeiter-Wohnheim ein, das in den folgenden Jahren ihr Zuhause werden sollte. Während sie das Scharfschützen-Handwerk erlernte, für dessen Pfad sie sich zusammen mit Charlie entschied, und langsam an die Arbeit im Team herangeführt wurde, griff sie ihr altes Töpfer-Hobby wieder auf und verbrachte Zeit in der neuen Gemeinschaft.
Zu jenen Personen in ihrem Leben gehörten etwa die platinblonden elfischen „Zwillinge“ Tes und Tesia Serc, die gemeinsam von der Söldnereinheit „Black Elite“ abgeworben worden waren und die Caitlin nie sicher verrieten, ob sie wirklich Geschwister waren oder dies damals nur im Waisenhaus für sich beschlossen hatten. Der Scharfschütze Tes mit seiner unaufgeregten Professionalität wurde ihr Lehrmeister, bei seiner draufgängerischen Schwester handelte es sich um eine Samurai und um eine selbsterklärte Schlampe, die jedoch Caitlin nicht davon überzeugen könnte, dass das Leben zu kurz sei, um Dreier mit zwei Fremden in einer Bartoilette auszulassen.
Die elfische Straßenkämpferin und Nahkampf-ki-Adeptin Rela „Panther“ Shuuk gehörte zu „einem anderen Team“, weilte aber oft für gemeinsame Trainingseinheiten mit Charlie zu Besuch, bei denen sich die Teammitglieder selbst davon vergewissern konnten, zu welchen unmenschlich erscheinenden Leistungen ihr ebenfalls als Nahkampf-ki-Adept tätige Chef fähig war. Wenn Mitglieder des Teams die bildhübsche Rela zu weiteren Infos über ihren einsamen Wolf oder ihre eigene Gruppe ausfragen wollten, lachte sie dies gewöhnlich nur weg und antwortete nur, dass sie froh sein könnten, einen Anführer wie Charlie Recc zu haben.
Der Decker Samuel „Thunderlord“ Troyd besaß derweil einen schweren Stand im Team. Als rechte Hand Charlies wahrgenommen – schon weil die Gehaltszahlungen in seinen Aufgabenbereich fielen –, saß er förmlich zwischen den Stühlen, und die Gemeinschaft warf ihm vor, dass seine „Während der Arbeitszeit bin ich Decker, meine Freiheit gehört mir“-Einstellung und sein fehlender Ehrgeiz, mit aller Kraft zu den bestmöglichen Vertretern seiner Zunft gehören zu wollen, dem Team eine fatale Schwachstelle bescherte. Er selbst bemühte sich derweil redlich darum, Anschluss an seine Kollegen zu finden und nicht nur als „der Freak mit dem Deck“ wahrgenommen zu werden. Caitlin selbst nahm schon wegen ihrer Trennung von Susan seine Gegenwart als Affront und konnte in ihm nur der in jeder Hinsicht unterlegene Ersatz erkennen, auch wenn sie zugeben musste, dass er sich ihr gegenüber immer korrekt verhielt. (Nur als sie seinen Vorschlag, es doch einmal mit Cosplay zu versuchen, vielleicht etwas zu entsetzt zurückwies, entstand eine Verstimmung.)
Derweil lockerte sich ihre Beziehung zu Ardus. Während sich ihre Welt um das Wohnheim und dessen Bewohner erweiterte, zog Ardus dort nie ein. Stattdessen nutzte er die frisch wiedererlangte Harmonie mit seinem Totem, um sich der Erschaffung eines Verbündeten zu setzen. Mit diesem Geist – der den Namen „Gizmo“ annahm – hatte sie kaum etwas zu tun, nicht zuletzt weil sie sich schnell auf dem falschen Fuß erwischten: Sie wurde von seiner Arroganz und Eifersucht abgestoßen, er nahm mit eisiger Wut auf, dass sie ihn vorwiegend als „dein Ding“ oder „dein Projekt“ bezeichnete.
Sie hielt auch den Kontakt mit Susan aufrecht, auch wenn er sich vorwiegend auf Nachrichten mit ein paar Treffen beschränkte. In dieser Phase ihres Lebens hatte Caitlin Kameraden, keine echten Feinde, aber auch keine engen Freunde.
2061: Kataklysmus
Im Nachhinein erschien es Caitlin, als hätten die Anzeichen der Katastrophe schon vorher in der Luft gelegen. Relas Besuche wurden seltener, bis sie ganz endeten, und das Konzept der „befreundeten Teams“ schien aus dem Wörterbuch zu verschwinden. Dann begab Charlie sich zusammen mit Ardus, aber ohne Caitlin, selbst auf eine Mission, die alle Beteiligten als Routine behandelten. Am 18.8.2061 erfuhr das Wohnheim von Charlie Reccs überraschendem Tod.
Samuel forderte, Ruhe zu bewahren. Ihre Besitzer würden schon bald einen neuen Kommandanten bestimmen. Ardus erklärte seinen Verdacht, dass sich ein Verräter eingeschlichen haben müsse, was selbst die anderen überlebenden Mitglieder des Stoßtrupps als Paranoia und Beleidigung ansahen. Mit seiner Ankündigung, auf eigene Faust nach dem Leck zu suchen, und einigen überraschend hasserfüllten Erwiderungen schied er faktisch aus der Gemeinschaft aus.
Die Mitglieder veranstalteten für Charlie ein inoffizielles Begräbnis. Die nervöse Anspannung blieb, aber nichts passierte. Das Gehalt wurde weiter gezahlt, die Ernennung eines neuen Kommandanten ließ auf sich warten.
Am 13.9.2061 fand ein Mitglied der Gruppe Samuels übel misshandelte Leiche. Niemand fand heraus, wer dahintersteckte, und niemand wusste wirklich, wie es weitergehen sollte.
Am 27.9.2061 erschien Rela im Büro der Argo und bat um Unterschlupf. Ihr Kommandant sei erschossen worden, ihr Team werde gejagt und dezimiert, sie selbst benötige nur einige Tage, um eine Wunde zu behandeln und Dinge zu organisieren, damit sie ganz aussteigen könne. Noch vor ihrem Aufbruch zwei Tage später nahm die Caitlin zur Seite, um ihr etwas privat anzuvertrauen: Sie wisse nicht, warum Ardus ihrem Kommandanten umbrachte – auch wenn dieser Widerling es weiß Gott verdient habe –, doch alle Spuren würden auf ihn als Täter hindeuten.
Das Septembergehalt wurde nie ausgezahlt, der Kontakt mit von der Gemeinschaft inzwischen als „die Zentrale“ bezeichneten Institution nicht wieder hergestellt. Weitere Mitglieder machten sich davon, andere wie Caitlin warteten in gespannter, unwirklich erscheinender Atmosphäre auf die Rückkehr der Ordnung. Da erreichte Caitlin am 8.10.2061 ein Anruf: Eine sichtlich nervöse, sich bisweilen verhaspelnde Susan berichtete, dass sie herausgefunden hatte, dass eine Geheimgruppe nicht nur Reccs Tod zu verantworten, sondern auch ihren Bruder entführt hätte – „ja, Leland“ –, um Experimente an diesem vorzunehmen. Sie wisse auch, wo sich diese gegenwärtig aufhalten würden, nämlich…
Mit diesen Informationen zur Hand wandte sich Caitlin umgehend an ihre übrigen Kameraden: Es gäbe da diese Gruppe, die ihnen weh getan hätte. Nun heiße es, zurückzuschlagen, Charlie Recc zu rächen und außerdem ihren Bruder zu befreien. Wer wäre dabei?
In der Nacht zum 11.10.2061 unternahm Caitlin mit den Freiwilligen und einigen kurzfristig angeheuerten Schattenläufer-Hilfskräften einen Run gegen einem von einer Scheinfirma betriebenen Rechenzentrum mit erstaunlich imposanter Sicherheit am Rande der Stadt. Mit ihrem Scharfschützengewehr erst das Gelände sichernd und dann einen Wachturm besetzend, bekam sie nur aus der Ferne mit, wie der Stoßtrupp agierte – und das Unheil seinen Lauf nahm: Ihre Einsatzgruppe, die ohne größere Probleme den Gefangenen befreien konnte und in einem eigenen Kleintransporter floh, geriet am Fahrzeugtausch-Ort in einen Hinterhalt. Caitlin selbst kehrte zum Argo-Komplex zurück, der inzwischen in Flammen stand, und rannte durch das brennende Wohnheim auf der Suche nach Bewohnern ohne durchgeschnittene Kehlen. Später stand Ardus neben ihr, Credstab und PDA für sie hinhaltend: Es habe den Verräter gegeben, sagte er, doch er sei ihm erst zu spät auf die Schliche gekommen. Nun sei das Team zerschlagen worden und auch ihr Leben in Gefahr. Er habe zusammen mit Susan alles für ihre schnelle Flucht nach Irland vorbereitet, ihr Flug gehe in drei Stunden…
Sie weiß nicht mehr, was sie darauf erwiderte. Er blickte sie durchdringend und erschöpft an, nur um dann zu bestätigen, dass sie tatsächlich allein reise. Dies hier sei, fügte er hinzu, nicht ihr Kampf.
2061-2062+?: Neuanfang
Caitlin erreichte Dublin mit leichtem Gepäck. Die falsche SIN „Cassandra Recc“, die so deutlich Susans Fingerabdrücke aufwies, ging mit etwas Reisekapital und einer erworbenen Wohnung, aber ohne Erklärung oder Lizenz für Ausrüstungsgegenstände einher, sodass sie gar nicht erst versuchte, irgendetwas mitzunehmen. Sie fühlte sich in jenen ersten Wochen nackt und gestrandet; zunächst versuchte sie noch, es als Urlaub anzusehen und die wichtigsten Touristenorte abzuklappern, doch dies gab sie es auf, weil sie nichts davon aufnehmen konnte. Ihre Gedanken kreisten um jene letzten Tage und Wochen, sie fühlte sich in einem skurrilen Traum, und in ihrer Mattheit beschränkte sie sich zunehmend auf ihre eigenen vier Wände. Wenn sie sich nicht Videospielen widmete, dann verbiss sie sich in die Newsseiten und in Shadowland, um nur irgendwie ein Bild davon zu bekommen, was in ihrer echten Heimat und rund um ihr Team geschah. Es endete erfolglos.
Da stolperte sie in Shadowland auf einen anderen Thread: Eine Person mit Namen „Chaser“ erklärte, bald aus der Haft entlassen zu werden und deshalb nach einer bezahlbaren Unterkunft in Dublin und Umgebung zu suchen, die sich nicht um Vorstrafen schere. Caitlin antwortete kurzerhand, und der nachfolgende Austausch bescherte ihr eine Mitbewohnerin, mit der sie sich recht gut verstehen sollte. Die Gespräche am Küchentisch bedeuteten nicht nur einen Kontakt mit einer anderen lebenden Person und der Außenwelt, sondern ließen in Caitlin auch langsam die Idee Gestalt annehmen, dass sie in Dublins Schatten als Runnerin tätig werden sollte.
Chaser bestand rundheraus darauf, von nun an im Einklang mit dem Gesetz zu leben, vermittelte Caitlin aber die Möglichkeit, Ausrüstung zu beschaffen und Orte zum Training zu finden. Inmitten all der Vorbereitung und kurz nach dem zweiten Advent ging ein überraschender Anruf bei ihr ein: Eine weibliche Stimme erklärte, dass sie gerade vor Ort ihr Schiebergeschäft hochziehe und Caitlin dabei gerne in die Reihen ihrer vermittelten Runner aufnehmen wolle; die Nummer habe sie von einem Freund. In einem Treffen auf dem Weihnachtsmarkt – mit heißem SoyKakao für Caitlin und Glühwein für Sylvia – besprachen sie weitere Einzelheiten und kurz nach Neujahr ging der erwartete Anruf ein: Sie habe da einen Mr. Johnson und ein passendes Team. Wäre Banshee bereit für ihren ersten Run?